archivierte Ausgabe 4/2020 |
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Einführung |
Offene Kirchen |
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»Auf dem Heimweg in die Katarina Bangata verspürte Bublanski das dringende Bedürfnis, die Angelegenheit mit Gott zu besprechen, aber statt in die Synagoge ging er in die katholische Kirche an der Folkungagatan. Er nahm auf einer der hinteren Bänke Platz und blieb eine Stunde lang reglos sitzen. Im Grunde hatte er als Jude nichts in einer katholischen Kirche zu suchen, aber sie war so ein friedvoller Ort zum Nachdenken, und er kam regelmäßig hierher, wenn er seine Gedanken ordnen wollte.
Jan Bublanski war der Meinung, dieser Ort eigne sich dafür so gut wie jeder andere, und er war überzeugt, dass Gott es ihm nicht verübeln würde. Außerdem gab es einen großen Unterschied zwischen dem Katholizismus und dem Judentum. In die Synagoge ging er, um Gesellschaft und Gemeinschaft mit anderen Menschen zu erleben. Die Katholiken hingegen gingen in die Kirche, um in Ruhe mit Gott allein sein zu können. Die ganze Kirche lud zur Stille ein und gebot, dass man jedem Besucher seine Ruhe lassen musste.«
Ja, aber … Kirchen werden doch – wie Synagogen auch – für die Versammlung der Gläubigen zum Gottesdienst gebaut. Aber eben nicht nur. Offensichtlich ist die Außenperspektive mitunter anders. Das Eingangszitat aus der Romantrilogie »Verblendung – Verdammnis – Vergebung« des schwedischen Krimiautors Stieg Larsson (1954-2004) ist nur eine ganz knappe Passage, die einzige, die auf über 2200 Seiten die Frage nach der Wahrnehmung einer offenen Kirche streift. Kommissar Bublanski »nutzt« nur einen kleinen Ausschnitt der vielfältigen Potenziale einer Kirche. Er sucht sie auf als »friedvollen Ort zum Nachdenken«. Beeindruckende Architektur, Kunstwerke oder gar gottesdienstliche Feiern scheinen ihn nicht weiter zu interessieren. Das kann man bedauern, aber vorwerfen darf man es ihm nicht. Das Bedürfnis nach Ruhe und nach einem Ort, seine Gedanken zu ordnen, ist ganz und gar berechtigt.
Die offene Kirche ist ein eminent wichtiges diakonisches Angebot. Das gilt auch für unsere Kirchenräume. Längst gibt es zahlreiche Initiativen für offene Kirchen, Vereine wie den Förderkreis »Entschlossene Kirchen« e. V. zum Erhalt und zur Öffnung von Dorfkirchen zwischen Magdeburg und Wittenberg. Auch Citykirchen in verschiedenen Innenstädten verstehen sich als ein diakonisches Angebot. Galten am Ende des 20. Jahrhunderts allgemein katholische Kirchen als geöffnet und protestantische außerhalb von Gottesdienstzeiten als geschlossen, so hat sich die Situation seither stark geändert. Evangelische Landeskirchen öffnen im Blick auf Passanten und Touristen ihre Kirchenräume. Katholische Kirchen bleiben in manchen Regionen immer häufiger geschlossen – auch wegen der Gefahr des Vandalismus. Seit 1999 gibt es im Bereich der evangelischen Kirche Hinweisschilder auf »verlässlich geöffnete Kirchen«, die bestimmte Kriterien erfüllen müssen: Die Kirche ist regelmäßig an mindestens fünf Tagen in der Woche je vier Stunden geöffnet. Das gilt wenigstens ab dem 1. April bis zum 30. September. So manche Überlegungen im Blick auf gastfreundliche Kirchen könnten auch für katholische Kirchenräume sehr hilfreich sein.
Gastfreundlich
Vielleicht genügt es schon, mit den Augen von Fremden auf die eigene Kirche zu schauen. Woran können Gäste erkennen, dass sie willkommen sind? Ist die Kirche einladend und aufgeräumt? Finden Besucher, auch solche, die nur selten in Kirchen kommen, ein paar wenige übersichtliche Informationen über die Kirche, einen Satz zur Gemeinde, zur Geschichte, das Angebot weiterer Kontakte? Gibt es ein Gästebuch oder die Möglichkeit, eine Kerze anzuzünden? Hat der Schriftenstand nur die Bedürfnisse der eigenen Gemeinde im Blick oder bietet er auch für Gäste Informationen und Hilfen für das persönliche Gebet?
Angesichts der Corona-Pandemie konnten in diesem Jahr selbst an Ostern keine öffentlichen Gottesdienste stattfinden. Doch zahlreiche Kirchen waren geöffnet für das stille Gebet. Immer wieder kamen einzelne Menschen zum Beten, am Karfreitag, um das Kreuz zu verehren, an Ostern, um das Licht der Osterkerze in die Familie zu holen. Vielen wird durch diese Einschnitte bewusst, wie wichtig die Begegnung mit anderen Menschen nicht nur für das gesellschaftliche Miteinander ist. Die Versammlung zum Gottesdienst ist ein ganz zentraler Punkt der Ausübung des Glaubens. In diesen Tagen wird kontrovers über die Zulassung öffentlicher Gottesdienste diskutiert. Viele beklagen, dass sie nicht die Eucharistie empfangen können und ihnen so die Möglichkeit der sakramentalen Christus-Begegnung vorenthalten wird. Problematisch erscheinen Abstandsregeln und Hygiene beim Kommunionempfang. Doch sind nicht nur Eucharistiefeiern wirkliche Gottesdienste. Sondern dann, wenn sich zwei oder drei im Namen Jesu versammeln, ist der Herr mitten unter ihnen (vgl. Mt 18,20). Darauf verweist auch das Messbuch: Im zentralen gottesdienstlichen Handeln der katholischen Kirche, in der Messfeier »ist Christus wirklich gegenwärtig« – wie es im Messbuch heißt – »[1.] in der Gemeinde, die sich in seinem Namen versammelt, [2.] in der Person des Amtsträgers, [3.] in seinem Wort sowie [4.] wesenhaft und fortdauernd unter den eucharistischen Gestalten.« (AEM 7). In dieser Perspektive sind Hausgottesdienste, Andachten, Wort-Gottes-Feiern, Bibelteilen, das gemeinsame Gebet … nicht Notlösungen, sondern erste Wahl zur echten Lösung einer Not. Und zugleich zeigen die zahlreichen Initiativen für Hausgottesdienste, Gottesdienstübertragungen und Gebetsgruppen in den sozialen Medien die kreative Vielfalt und den Wunsch nach gemeinsamen Gottesdiensten. Vielen Menschen wird bewusst, dass »die Kirchen schon in einer Weise systemrelevant sind. Wer gibt jetzt eigentlich Antworten, wer hilft eigentlich den Menschen in existenziellen Ängsten? Wo gibt es Orte, in denen man auch diese Ängste, die da aufgebrochen sind in der Corona-Krise, verarbeiten kann?« (Thomas Sternberg, Deutschlandfunk, 18.4.2020)
Zeichen und Symbol überirdischer Wirklichkeit
Gerade in einer Zeit, in der keine öffentlichen Gottesdienste in Kirchen gefeiert werden können, wird die Bedeutung der Kirchenräume bewusst. Sie sind keine aus sich heiligen Orte, keine Tempel. Geheiligt wird der Kirchraum nach – christlichem/katholischem – Verständnis durch die heilige Handlung, durch die Begegnung mit Jesus Christus. Kirchenräume müssen, wie es in der Einführung ins Messbuch heißt, »für den Vollzug der Liturgie geeignet sein und die tätige Teilnahme der Gläubigen gewährleisten.« (AEM 253) Doch diese zunächst recht funktional wirkende Anforderung wird unmittelbar darauf im nächsten Satz ergänzt: »Die Gottesdiensträume und alles, was dazu gehört, sollen in jeder Hinsicht würdig sein, Zeichen und Symbol überirdischer Wirklichkeit.« Für katholische Christen ist das Kirchengebäude Haus des Gebetes, Ort der Liturgiefeier – und somit ein Gotteshaus. Damit ist zugleich gesagt, dass die Architektur nicht allein aus sich »Zeichen und Symbol überirdischer Wirklichkeit« sein kann. Nur ein als Kirche genutztes Kirchengebäude wird die Präsenz des ganz Anderen im öffentlichen Raum erfahrbar machen und symbolisieren können. Auch der protestantische Kirchenraum ist kein heiliger Raum an sich. Klaus Raschzok beruft sich auf den evangelischen Theologen Hans Asmussen und spricht davon, dass der Kirchenraum »Spuren der gottesdienstlichen Benutzung« trägt und somit durch die Gottesbegegnung der Gemeinde geheiligter Raum ist.
Orte der Ruhe und des Trostes
Eine Erhebung des Instituts für Demoskopie Allensbach von 2009 zur Frage, welches Verhältnis die Deutschen zu den Kirchenbauten haben, kommt zu dem Ergebnis: Für 59 % der Deutschen sind Kirchen vor allem Orte, an denen man zur Ruhe kommen kann; 48 % fühlen sich sofort anders, wenn sie eine Kirche betreten. Ihre Lieblingskirche beschreiben 54 % als Ort der Ruhe, 27 % ordnen ihr eine mystische Atmosphäre zu, 25 % die Aura des Geheimnisvollen. »Von den Bevölkerungskreisen, die zumindest sporadisch Gottesdienste besuchen, verbinden 43 Prozent den Besuch von Kirchen mit Nähe zu Gott, 44 Prozent Gefühle von Geborgenheit, 63 Prozent die Erfahrung, dass man in Kirchen Trost finden kann.« Für Kommissar Bublanski war die Kirche »ein friedvoller Ort zum Nachdenken, und er kam regelmäßig hierher«.
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Andreas Poschmann |
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